The Bare Minimum: "Lob für Männer macht Mehrbelastung von Frauen unsichtbar"

von Alina Milewicz
4 Min.Haushalt, Kindererziehung, Zivilcourage: Wenn Männer sich engagieren, bekommen sie oft Anerkennung für ein Verhalten, das bei Frauen selbstverständlich ist. Wir haben eine Gleichstellungssoziologin gefragt: Ist das mehr als "nur" unfair? Kann Anerkennung Strukturen verändern? Oder sollten wir das Loben besser sein lassen?
Für die Familie kochen, Kinder betreuen, sich regelmäßig melden, respektvoll miteinander umgehen, Gewalt und sexistisches Verhalten ablehnen – all das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Und doch kommt es erstaunlich oft vor, dass genau dieses Verhalten bei Männern besonders gefeiert wird. Zum Beispiel, wenn ein Vater Elternsprecher wird oder länger als zwei Monate Elternzeit nimmt. Wenn ein Mann zu Hause von selbst den Boden wischt oder Fenster putzt, hört Frau von ihren Freundinnen mindestens ein anerkennendes Raunen: "Wow, sowas macht der einfach?" Und wenn ein Date die Tür aufhält oder sich nach einem Treffen nicht erst nach drei Tagen (oder überhaupt!) meldet, schmilzt so manches Herz dahin.
Eine Debatte über ungleiche MaßstäbeGenau darum geht es bei "Bare Minimum": einer Debatte über ungleiche Maßstäbe. Warum wird Verhalten, das eigentlich selbstverständlich sein sollte – egal ob im Job, im Alltag oder in Beziehungen – bei Männern oft schon als außergewöhnlich gefeiert? Und verdient das wirklich Anerkennung und Lob? Wir haben bei der Soziologin und Co-Leitung des Bereichs "Wissen, Beratung und Innovation" bei der Bundesstiftung Gleichstellung, Dr. Sophie Ruby, nachgefragt:
BRIGITTE: Warum wird gerade so viel darüber diskutiert, ob man Männer für "The Bare Minimum" loben sollte?
Dr. Sophie Ruby: Studien zeigen, dass Frauen nach wie vor den Großteil der Haushalts- und Sorgearbeit leisten. Auch Paare, die sich bewusst egalitär – zum Beispiel im 50/50-Modell – organisieren wollen, leben häufiger als von ihnen gewollt in traditionellen Modellen.
Woran liegt das?
Das hat viel mit Geschichte und Kultur zu tun. In Westdeutschland war die "Hausfrauenehe" lange das Leitbild – in der DDR dagegen war es selbstverständlich, dass Frauen berufstätig und Männer stärker in der Familie eingebunden waren. Diese Normen wirken bis heute nach. Ein wichtiger Faktor sind auch die strukturellen Rahmenbedingungen für Paare und Familien – diese unterstützen egalitäre Modelle noch zu wenig und bieten stattdessen Anreize für ungleiche Verteilungen von Sorge- und Erwerbsarbeit.
Warum wird es immer noch als etwas Besonderes wahrgenommen, wenn Männer im Haushalt oder mit Kindern helfen?
Weil traditionelle Geschlechterbilder tief verankert sind. Frauen wird die Hauptverantwortung für Sorgearbeit selbstverständlich zugeschrieben, weil sie vermeintlich naturgegeben die Fähigkeiten dafür haben. Die Sorgearbeit gehe ihnen ohne großes Zutun von der Hand und sei deshalb "nicht der Rede wert". Wenn Männer sich kümmern, gelten sie hingegen als "Helfer" im Haushalt oder "Babysitter" bei der Care-Arbeit.
Was sagt dieses "Care-Lob" über unsere Gesellschaft aus?
Es zeigt, dass die Übernahme von Haus- und Sorgearbeit durch Männer offenbar noch keine Selbstverständlichkeit ist. Das Lob macht sichtbar, dass gleiche Tätigkeiten unterschiedlich bewertet werden – und es stabilisiert damit genau diese ungleichen Maßstäbe.
Kann Lob auch positiv wirken – also dazu beitragen, dass Männer mehr Verantwortung übernehmen?
Oft steckt genau diese Hoffnung dahinter. Lob allein verändert aber wenig, weil es nur auf der individuellen Ebene ansetzt. Die Ursachen liegen tiefer – in gesellschaftlichen Strukturen, Arbeitsorganisationen und kulturellen Normen. Auch unsere "Sehgewohnheiten" spielen eine Rolle: Wie werden Menschen mit Sorgeverantwortung in den Medien dargestellt?
Welche Rolle spielen Erziehung und Sozialisation dabei?
Eine zentrale. Schon in der Kindheit lernen Mädchen und Jungen unterschiedliche Rollen: Jungen sind sachlich und rational, Mädchen sollen fürsorglich sein, weswegen Sorgearbeit für Frauen dann angeblich auch nur "ganz natürlich", ein beiläufiges Ergebnis und Ausdruck ihrer Liebe sei. Dadurch wird verschleiert, dass Haus- und Sorgearbeit eben auch Arbeit ist, Wissen und Fähigkeiten erfordern und nicht selten mit Mühen verbunden sind.
Wie wirkt sich die ungleiche Wertschätzung auf Partnerschaften aus?
Wenn Frauen viel leisten, aber wenig Anerkennung bekommen, während Männer für kleine Beiträge gelobt werden, kann das Spannungen schaffen. Das Lob für Männer bestätigt alte Normen – und macht die Mehrbelastung von Frauen unsichtbar.
Welche Folgen hat das gesellschaftlich?
Die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit hat weitreichende Konsequenzen: beim Einkommen, bei der Rente, bei Gesundheit und politischer Teilhabe. Frauen arbeiten häufiger Teilzeit, verdienen weniger – das wirkt sich auf das ganze Leben aus.
Zudem fehlen gesellschaftlich Zeit und Strukturen, die Sorgearbeit wirklich ermöglichen. Viele Arbeitgeber unterstützen Väter etwa nicht, wenn sie Elternzeit oder Teilzeit wollen.
Würde Anerkennung in Form von Lob dann nicht helfen diese Strukturen zu ändern?
Anerkennung ist wichtig – aber für alle Menschen, nicht nur für Männer. Wir sollten uns eher fragen, was wir gesellschaftlich als selbstverständlich betrachten.
Wie meinen Sie das?
Vor 70 Jahren war es zumindest in Westdeutschland selbstverständlich, dass Männer kaum Hausarbeit leisteten. Heute ist das anders – aber die tatsächliche Aufteilung bleibt ungleich. Familien sind überlastet, und diese Last tragen vor allem Frauen.
Was wäre denn eine bessere Alternative zum Lob?
Statt Männer für "das Minimum" zu loben, sollten wir gesellschaftlich definieren, dass Sorgearbeit eine gemeinsame Verantwortung ist. Gleichstellung entsteht, wenn wir Verantwortung, Zeit und Anerkennung fair verteilen – nicht, wenn wir alte Rollen mit Komplimenten zementieren.
Kürzlich wurde der Rapper Finch gelobt, weil er einen Mann von einem Konzert ausschließen ließ, der Frauen begrapscht haben soll. Wie ordnen Sie das ein?
Das fällt zwar nicht in die Kategorie "The Bare Minimum" im Sinne alltäglicher Sorgearbeit, aber solche öffentlichen Handlungen können positive Wirkung entfalten, indem sie Haltung zeigen und Gleichstellungsthemen sichtbar machen.
Warum wurde trotzdem darüber gestritten, ob das "lobenswert" ist?
Weil häufig Männer für feministische oder gleichstellungsfördernde Handlungen überproportional Anerkennung bekommen – während es bei Frauen als selbstverständlich gilt. Außerdem wurde in diesem Fall auch kritisiert, dass der Künstler mit seinen Begleitkommentaren selbst patriarchale Strukturen reproduziert hat.
Wie fällt also ihr Fazit aus?
Anerkennung von Sorgearbeit und Aktivitäten für mehr Gleichstellung sind wichtig – für alle. Männer werden oft für weniger gelobt als Frauen. Das zeigt, dass Gleichstellung noch nicht erreicht ist. Gesellschaftlich auszuhandeln, was wir als Selbstverständlichkeiten sehen, ist zentral. Um wirklichen Wandel zu schaffen, braucht es strukturelle Veränderungen und faire Wertschätzung, nicht nur individuelles Lob.
Brigitte
brigitte




